Austria. Vienna. 2015.
Vienna, Baby! Sieben-elf-fünfzehn.
„Wien, Wien, nur Du allein, sollst stets die Stadt meiner Träume sein.“ Klingt es noch in meinen Ohren – wie schön, wie wahr!
„Geben Sie das Signal zum Bewachen aller Ausstiege“ … „Los! Wir steigen hinunter!“¹
In die untere Welt, die alles bestimmt. In die Welt, die Dir sagt, wo es lang geht.
Dich an Deinen Haaren zieht und Dich anlächelt, wenn Du zitternd am Boden kauerst. „Da willst Du runter?“ „Frag nicht – frag einfach nicht!“
Dunkelheit legt sich Stufe für Stufe um meine Knöchel, Knie, Hüfte, Brust, Gesicht.
Im Rondell windet sich die stählerne Schlange nach unten ins dunkle Nichts. Meine rechte Hand am kühlen Stahl, unregelmäßig, rostig, kalt.
Aber das ist der einzige Halt. Die kühle, sonderbar knirschende Führung meiner Hand, die mir die Rundung vorgibt. Tiefer und tiefer in den Schatten.
Das Klappern seiner Schritte hinter mir beinahe synchron mit den Meinigen. „Trau Dich ruhig – ich zähle die Stufen, bis wir soweit sind.
“ Diese letzten vier Worte drehen sich in meinem Kopf wie die Windungen dieses Treppenmonsters, dessen Schwanz ich mich gerade entlang taste.
Oder hin zum Kopf? Bis wir soweit sind, bis wir soweit…
Die kühlere, fast frische Luft hat nichts modriges an sich, wundere ich mich. Die Dunkelheit hat nichts unheimliches, wundere ich mich.
Die Stille, die nur durch den eisernen Hall der Schritte zerschnitten wird, versöhnt mich. „Bleib kurz stehen – ich führe dich“,
flüsterst Du, auf einmal vertraut, mir zugeneigt, als hätte die Tiefe der Dunkelheit die Schärfe Deiner Stimme geschliffen.
Diese Worte schmiegen sich an mich wie Du jetzt, wie Du an mir vorbei gleitest, meine Hand vorsichtig vom Geländer löst und mit Dir diesen
wichtigen Halt bindet. Du hältst meine Hand im Vorbeigehen mit Deinen beiden Händen, die mich nun führen. Langsam folge ich Dir, Du vor mir.
Ich mit Dir, ich bei Dir, blind spüre ich Dich ganz nahe. Meine Welt allein von Dir gesteuert. Das fühlt sich gut an. Sehr gut.
So gut wie das Ende des Klackerns der eisernen Stufen unter unseren Füßen. So wie der feste Boden, der einem das Schwanken vorgaukelt,
weil die Füße die runden Stufen erwarten. So wie das Erkennen eines Lichtstrahls, der einen Tunnel entlang spiegelt, eine Biegung erkennen lässt,
die ich nun mit Dir folge.
Das Licht füllt den Korridor wie meine Augen, das die Lider blinzeln lässt.
Die Aufregung, die in mir ins Bewusstsein steigt und die mich führende Hand stärker drücken lässt.
Die Töne, die in mich schleichen, wie eine Erinnerung. Das wabernde, flackernde, rötlich-braune Licht, das aus einer Kuppel zu dringen scheint,
gleich rechts, nicht mehr weit. Nur noch wenige Schritte, da müsste es sein. Das Gefühl klopft meinen Hals herauf, die Stille ist endgültig beendet.
Mein Begleiter dreht sich zu mir, ganz nahe ist er bei mir, seine Lippen spüre ich hauchend, in meinem Ohr – nein in mir: „Jetzt – genau jetzt“
und zieht mich sodann um diesen letzten Vorsprung vor dem Wasserfall in die Tiefe. In die Tiefe des blauen Lichts, der rötlichen Wärme, des Gefühls,
was mir den Hals zuschnürt, mir den Atem raubt und ich nun endlich verstehe, weshalb ich hier bin. „Nur Du allein, nur Du allein“ hallt es in mir,
als ich eintauche. Wie schön, wie wahr.
¹Graham Greene: Der dritte Mann, 1957